Maria singt

Von Therese Wagner

„Maria – das erste Bild, das ich vor mir sehe, ist das Gipswesen aus der Grotte von Lourdes, niedergeschlagene Augen, der Körper bis zur Unkenntlichkeit verhüllt: Entsexualisierung plus Demut, […] das weibliche Ideal. Sie thront über uns. Sie ist rein, wir sind schmutzig. Wir können sie nie erreichen.  […]
Aber ist Maria wirklich dieses Gipswesen? Das Mädchen aus Nazareth mit dem unehelichen Sohn, der später als Revolutionär hingerichtet wird?
[…] Die Tradition hatte ihr die in der Bibel erwähnten übrigen Kinder genommen. Aber die Bedürfnisse und Phantasien der Völker haben ihr diese Kinder wieder zurückgegeben, sie ihr unter den Mantel geschoben. […] Die kleine Madonna, die einst ihr Lied der Befreiung gesungen hat, sie ist nicht aus Gips und Plastik. Sie ist sehr lebendig.“

Mit diesen Worten wendet sich Dorothee Sölle in ihrem Aufsatz „Maria – ein Sympathisantin“ gegen ein Bild der Mutter Jesu, wie es beispielsweise an Pilgerstätten üblich ist. Sie macht auf die Doppeldeutigkeit dieser Darstellungen aufmerksam. 

Hinter der demütigen und keuschen Haltung der Maria, die dort zum weiblichen Idol erhoben wird, entlarvt sie eine Herrschaftsstrategie während der Epoche des Bürgertums. Eine Strategie, welche die Frauen zur Selbstunterdrückung aufgefordert habe.

Für sie steht gerade das Magnificat einem solchen Bild der unterwürfen Magd des Herrn entgegen. Da tritt eine hervor aus dem Schatten, aus der Verhüllung. Und singt:

Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

Da tritt eine hervor und singt ihr Lied. Sie singt allein. Aber eigentlich singt sie nicht allein. Sie singt ihr Lied mit einem Chor an Frauen. Frauen, die das kennen: Getuschel, Kopfschütteln, mitleidige Blicke. Frauen, die das hinter sich haben oder noch vor sich.

Kein Kind, damals, oder ein Kind, aber ohne Mann, damals – eine Schande.

Die Geschichte dieser Pein, dieser Kreuzigung, die die Frauen erlitten haben, ist wieder und wieder mit roten und blauen, wallenden Gewändern verschleiert worden. Unantastbar thronen sie da, die Marias und Elisabeths.

Dabei sehen sie anders aus. „Sie sind sehr lebendig.“

Elisabeth hat einen beigen Pulli vom Secondhandmarkt an. Sie trägt eine billige Dauerwelle und hat eine kleine Wohnung, weil für mehr ihre Rente nicht reicht. Elisabeth und ihr Mann sitzen am Abendbrottisch. Wenige Worte wechseln von einer Seite über den Tisch, der mit Wenigem gedeckt ist. Ihr Tag ist immer gleich und die Woche auch, weil selten mal Besuch kommt. Da ist ein bisschen Gegenwart und viel Vergangenheit.

Und Maria ist eine von den Müttern, die ihren Kinderwagen durch unsere Fußgängerzone schieben. Viel zu eng sind oft die T-Shirts und Leggings, die sie tragen. Zu zweit oder zu dritt gehen sie. Fast nie von einem Mann, geschweige denn Vater begleitet. Sie ist eine von diesen Müttern, die noch Mädchen sind, deren Schwangerschaft wohl eher Befürchtungen als Freude ausgelösen.

Und ich sehe hinter ihnen her und frage mich, ob das wirklich sein musste, und welche Zukunft außer mit Hilfe des Sozialamts sie jetzt eigentlich vor sich haben.

So sind sie mir vor Augen, sehr lebendig: die Marias und Elisabeths  – gegenwärtig und zu allen Zeiten. Maria, dieses Mädchen ohne Ansehen singt mit der Kraft all der Frauen, die erfahren haben, dass Gott sie ansieht.

Sie singt mit der alten Stimme Saras und mit den Stimmen der Schwestern Lea und Rahel. Sie singt mit den Worten der gedemütigten Hanna und mit der Hoffnung der Asylsuchenden Ruth auf eine Heimat. Sie singt mit den Stimmen derer, die ohne Ansehen sind. Sie singt für die Elisabeths und Marias unserer Zeit. Und die kennen noch eine andere Demütigung:

Gar nicht mehr gesehen und wahrgenommen zu werden. Die alten Frauen und ihre Männer, die zurechtkommen müssen mit dem, was am Ende ihres Lebens herauskommt – an Rente und mit dem, was für das Leben dann noch übrigbleibt. Den jungen Müttern aus sozial schwierigen Verhältnissen. Und all die anderen Menschen ohne Ansehen, ohne die Möglichkeit und am Ende auch ohne die Motivation, noch ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.Gott gibt denen eine Stimme, die sonst keiner mehr hört. Und lässt sie singen gegen alle Regeln der Welt. Denn bei Gott ist nichts unmöglich.

Das ist die Erfahrung von Sara, Lea, Rahel, Hanna und Ruth. Das haben Elisabeth und Maria am eigenen Leib erfahren. Und durch sie kommt diese Geschichte Gottes mit seinen Menschen auch zu uns, durch Jesus, geboren von einem jungen Mädchen am Rand der damals bekannten Welt.

So entfaltet sich die Verheißung Gottes für all die Menschen ohne Ansehen, so weit wie der Himmel, der Mond und die Sterne.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig geringer gemacht als Gott, mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt. (Psalm 8,f)

Jeden Menschen.

(Die Predigt vom Pfrin. Therese Wagner am 22.12.24 in der Friedenskirche)

 

Gottesdienste zur Jahreswende

An dieser Stelle finden Sie eine Übersicht aller Gottesdienste an Silvester und Neujahr im Heidelberger Norden…

29. Dezember

10.00 Uhr Gottesdienst mit Pfarrer Bruno Ringewaldt

31. Dezember, Silvester

17.00 Uhr: Musik und Wort zum Jahreswechsel – Ökumenische Jahresschlussandacht
Mit Pastorin Damaris Hecker (Ev. Method. Kirche), Pastoralreferentin Judith Schmidt-Helferich (Kath. Stadtkirche), Vertretern der NAK und Pfr. Dr. Gunnar Garleff (Ev. Kirche)
Ort: St. Raphaelskirche, Neuenheim

18:00 Uhr: „Aber mein Heil bleibt ewiglich“ – Gottesdienst zum Jahresschluss mit Abendmahl. Mit Pfr. Gunnar Garleff, Kantorei der Friedensgemeinde.
Ort: Friedenskirche, Handschuhsheim

1. Januar, Neujahr

18.00 Uhr: „Prüfet alles und behaltet das Gute“. Neujahrsgottesdienst. Pfrin. Therese Wagner. Mit anschließendem Sektempfang
Ort: Friedenskirche, Handschuhsheim

Tröstende Lyrik, packende Dramatik

Kantoreikonzert: Brahms-Requiem in der Friedenskirche

Am Samstag, 23. November wird um 20 Uhr in der Friedenskirche das „Deutsche Requiem“ Opus 45 von Johannes Brahms aufgeführt. Das große Werk von Johannes Brahms ist reich an wunderschönen lyrischen und tröstlichen Momenten, es kommen aber auch dramatische, packende und fesselnde Passagen vor.

Sie können jetzt Ihre Karten sichern. Vorverkauf in der Bücherstube an der Tiefburg, im Pfarramt oder über die Kantorei.

Es erklingt die kammermusikalische „Londoner Fassung“ des Werkes. Die international bekannten Pianisten Andreas Grau und Götz Schumacher begleiten mit der originalen vierhändigen Bearbeitung des Requiems von Johannes Brahms auf einem Bösendorfer-Hammerflügel aus dem 19. Jahrhundert. Durch die selten zu hörende Fassung wird eine Interpretation mit hoher Textverständlichkeit, Durchsichtigkeit und feinfühliger Artikulation ermöglicht.

Dazu musiziert Thorsten Gellings (Pauken). Die Vokalsoli werden gesungen von der Sopranistin Sarah M. Newman und dem Bariton Sebastian Geyer. Die Kantorei der Friedenskirche Handschuhsheim singt unter der Leitung von Michael Braatz-Tempel.

Heute schon an morgen denken

Wohnen und Zusammenleben von Jung und Alt in Handschuhseim

Ewig jung bleiben wir auch im schönen Handschuhsheim nicht. Wir alle werden älter. Mit dem Alter nimmt die Erfahrung zu, aber auch der Bedarf an Unterstützung durch andere. Wer hilft uns, wenn die Kräfte für den Einkauf nachlassen, wenn das Treppensteigen beschwerlich wird, das Augenlicht schwächer wird, die neuen technischen Errungenschaften immer schwerer begreifbar werden oder das Gedächtnis erlahmt?

Foto: pexels.com/mikhail nilov

Alt braucht jung – und jung braucht ganz sicher auch alt. Doch wie können die Generationen voneinander profitieren, wenn wir nicht mehr überwiegend vor Ort in Großfamilien zusammenwohnen? Und wie gehen wir damit um, dass vielfach ältere Menschen durch den Wegzug ihrer Kinder in großen und nicht unbedingt altersgerechten Räumlichkeiten wohnen, während insbesondere für Jüngere der Wohnraum knapp wird? Das Zusammenleben der Generationen zu organisieren, ist eine wesentliche Gestaltungsaufgabe für das Sozialwesen, aber auch für das eigene Leben.

Mit welchen Erfahrungen werden bereits heute besondere Formen des Zusammenlebens der Generationen in Handschuhsheim praktiziert? Welche Pläne und Ideen hat die Stadt Heidelberg für das künftige Wohnen und Zusammenleben im Alter? Und welche Wünsche und Ideen können wir selber einbringen?

Foto: pexels.com/cottonbro studio

Heute schon an morgen denken – heißt: Wohnen im Alter ist kein Thema der Alten, sondern besonders auch der mittleren Generation. Hierzu lädt das Evangelische Forum Handschuhsheim (vormals Männerverein) zu einer vielseitigen Podiumsdiskussion ein und möchte mit Ihnen gemeinsam in ein Gespräch kommen. Am Mittwoch, 13. November, 19.30 Uhr, Gemeindehaus an der Friedenskirche.

Wir erwarten vielfältige Gäste:

  • Vertreter des Teams „Strategische Wohnentwicklung“ der Stadt Heidelberg werden uns u. a. ihre Pläne einer Online-Wohnbörse für Wohnungstausch und gemeinschaftliches Wohnen vorstellen.
  • Die Fachstelle barrierefreies Planen, Bauen, Wohnen der Stadt Heidelberg beschreibt Anforderungen und Fördermöglichkeiten für altersgerechtes Wohnen.
  • Die Abteilung Stadtteil- und Quartiersentwicklung der Stadt Heidelberg stellt sich als Gesprächspartner auf Stadtteilebene auch für das Thema Wohnen und Wohnformen im Alter vor.
  • Vertreter des Mehrgenerationenhauses Handschuhsheim erzählen uns von ihren Erfahrungen des Zusammenlebens.
  • Tabea Dürr berichtet aus der kommunalen Sozialarbeit für Seniorinnen und Senioren.
  • Pfarrer Dr. Gunnar Garleff geht der Frage nach, welche Rolle die Kirche bei der Gestaltung des Zusammenlebens übernehmen kann.

Vom Sorgen und Hören

Sorgen…

…sorgen für nimmer nachlassende Aufgaben im kirchlichen Leben. Sorgenvoll kann man auf die kirchlichen Entwicklungen blicken, ob Mitgliederschwund oder Resonanzverlust, ob Gebäudestrategien oder Strukturprozesse. Vieles bereitet selbst jenseits der ganz großen gesellschaftlichen Themen Sorgen. Einmal im Jahr aber sorgt der Ältestenkreis der Friedensgemeinde dafür, dass er ein Wochenende in Klausur geht. Anfang September war es wieder einmal soweit. Ein Wochenende in Rastatt sorgte für eine Auszeit jenseits der Handschuhsheimer Gemeindegrenzen und weit weg von allen Strukturprozessen in der evangelischen Kirche, war die Herberge für eine Nacht doch das katholische Bildungshaus St. Bernhardt.

Klausurtagungen dienen in der Regel dazu, mit mehr Zeit große Themen zu bearbeiten. Meistens werden Moderationskarten beschrieben, Kirchenmodelle entwickelt und Angebotsstrategie entwickelt. Nicht so aber der Ältestenkreis der Friedenskirche – das Thema des Wochenende war „Seelsorge – von der Selbstsorge zur Fürsorge“.

Bewusst hatten wir im Ältestenkreis vorab entschieden, dass die Klausurtagung der für das Leitungshandeln nötigen Vergewisserung dienen sollte. Deshalb standen Bibelarbeit und Austausch im Zentrum.

Ein besonderer Schwerpunkt war dabei unser Verständnis von Seelsorge, das wir mit Übungen und Reflexionen vertieften. Maßgebend dabei für die Ältesten: Seelsorge lebt wesentlich vom Hören, vom Hinhören und von der Aktion und Handlung des Gegenübers. Nicht das Reden des Seelsorgenden ist das Wesentliche, sondern das, was der Gesprächspartner sagt, was der andere braucht. Was er mitbringt ist bestimmend. Das Eigene des Seelsorgenden aber, so stellten wir in verschiedenen Übungen fest, dient dem Anderen im günstigen Fall als Perspektiverweiterung.

Nun kann man sich fragen, ob ein Ältestenkreis da nicht den Sinn und Zweck einer Klausurtagung verfehlt hat. Was trägt das für die Gemeindeleitung aus? Eine berechtigte Frage und tatsächlich waren wir selbst erstaunt, als wir am Ende unsere Wahrnehmungen zur Seelsorge mit unseren Leitungsentscheidungen in Beziehung setzten. Was sich nämlich in der Seelsorge ereignet, das kann auch in einer seelsorglichen Kirche Ereignis werden.

Für den Ältestenkreis bedeutet das: Wir denken weniger vom Kirche sein, sondern mehr vom Kirche werden her. Nicht das, was die Gemeindeleitung will und anbietet, steht im Zentrum, nicht eine Strategie des Bewahrens, sondern die Offenheit für das, was Menschen in die Kirche und die Gemeinde mitbringen an Ideen, an Bedürfnissen, an Engagement. Leitfrage ist für uns also nicht: Was brauchen die anderen? Welche Angebote machen wir? Sondern: Was bringen die anderen mit? Wo können wir unterstützen und ermöglichen?

Und wenn wir auf die vielen lebendigen Angebote, Gruppen und Kreise der Friedensgemeinde schauen, dann sind die wenigsten davon in den letzten Jahren durch die Gemeindeleitung erdacht worden, sondern häufig kamen Menschen auf uns zu und hatten eine Idee und wir haben der Idee und den Menschen Raum zur Umsetzung und damit zur Begegnung mit anderen gegeben. Lebendige Kirche, so glauben wir, entsteht da, wo wir Kirche und Gemeinschaft für andere, durch andere und mit anderen ermöglichen und uns nicht nur um uns selbst drehen.

In diesem Sinne herzliche Einladung für Ihre und Eure Ideen – es gibt viele Möglichkeiten.

Fotos: König und Seppich.