Sinn erleben, trotz allem

Resilienz: Eine Kraft in der Krise

Von Wolfgang Krüger

Seit einigen Jahrzehnten beschäftigen sich Psychologen mit einer wichtigen Frage: Wie kommt es, dass einige Menschen Krisen halbwegs unbeschadet überstehen oder daran sogar wachsen, während andere daran zerbrechen? Dies ist das Gebiet der so genannten Resilienzforschung. Sie beschreibt die psychische Widerstandskraft eines Menschen. Sechs entscheidende Faktoren beeinflussen unsere Resilienz:

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1. Schwierig ist es, wenn Menschen eine Krise – wie Corona – nur als Einschränkung sehen können und sich als Opfer fühlen. Denn tatsächlich: Alle Krisen sind auch eine Chance. Corona kann beispielsweise dazu führen, dass man mehr liest, Lebensprojekte realisiert, mehr zu sich kommt und den inneren Dialog pflegt.

2. Alle Krisen lassen sich leichter verkraften, wenn ich einen Sinn im Leben sehe. Es muss etwas geben, was größer ist als ich. Das hat der Begründer der Logotherapie, Viktor E. Frankl, im Konzentrationslager erlebt. Er beobachtete, dass vor allem die Kommunisten und die Religiösen überlebten, die sich nicht als Opfer von irrationalen Mächten empfunden haben.

3. Philosophen sind der Meinung, man könne Krisen nur mit Geduld überwinden. Geduld sei der eigentliche Prüfstein dafür, ob sich ein Mensch wirklich entwickelt hat. Das gilt vor allem in Krisen, die länger dauern als einige Monate. Dann sehen wir nämlich nicht mehr das Licht am Ende des Tunnels und müssen mit inneren Ängsten ringen, von denen wir überfallen werden.

4. Bei Krisen ist es wichtig, dass wir zusammenhalten und eine enge Bindung zu anderen Menschen spüren. Sigmund Freund war der Meinung, dass die Liebe dann die stärkste Antwort sei. Aber es können auch Freundschaften sein, die uns das Gefühl geben, im Leben nicht allein zu sein. Also Herzensfreundschaften, bei denen wir eine enge Verbundenheit mit anderen Menschen empfinden.

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5. Krisen können wir bewältigen, wenn wir demütig sind. In unserem heutigen Leben haben wir oft eine gewisse Überheblichkeit. Wir leben, als ob wir alles bestimmen könnten. Die Naturwissenschaft triumphiert, oftmals glaubt man, sich mit Geld alles kaufen zu können. Doch Corona zeigt uns, wie ohnmächtig wir sind. Und die Klimakatastrophe macht deutlich, welche Folgen es hat, wenn wir die grundlegenden Regeln der Natur missachten. Insofern können Krisen auch dazu führen, dass wir nachdenklich werden und jene Bescheidenheit erwerben, die von einer wirklichen inneren Größe getragen ist.

6. Krisen zeigen uns, was wichtig ist. Corona macht deutlich, wie schnell ein Leben enden kann und wie einzigartig und bedeutsam unser Dasein ist. Insofern ist Corona für uns eine Mahnung, uns von einem zu oberflächlichen Leben zu verabschieden und jeden Abend dafür dankbar zu sein, dass wir diesen Tag erleben durften. Dankbarkeit ist eine der stärksten Kräfte der Resilienz. Sie führt dazu, dass wir das Selbstmitleid überwinden, das leicht bei Krisen auftritt. Ich sehe dann nur noch mich und meine Einschränkungen und verliere das Gefühl dafür, wie gut es mir gelegentlich geht. Dankbarkeit dagegen lenkt den Blick auf das, was mir geschenkt ist und was – in allen Schwierigkeiten – doch gelingt.

Dr. Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut in Berlin und Autor zahlreicher Bücher, unter anderem „So gelingt die Liebe“ und „Die Geheimnisse der Großeltern“.

Veröffentlicht von Lothar Bauerochse

Mitglied im Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit der Friedensgemeinde.

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