Ein Impuls zur Passionszeit
Die Fastenaktion der Evangelischen Kirche empfiehlt in diesem Jahr „Sieben Wochen ohne Lügen“. Mal ehrlich: Worauf könnte ich in den Wochen der Passionszeit verzichten? Ein ketzerischer Gedanke schießt mir durch den Kopf: Sieben Wochen ohne Predigen. Das wär mal was. Sieben Wochen lang keinen einzigen Gottesdienst vorbereiten müssen. Sieben Wochen unter fremden Kanzeln sitzen dürfen. Auf andere hören können. Nichts sagen, nichts auslegen, nichts verkündigen müssen. Keine Worte, keine Erklärungen für andere finden. Nur hören. Schweigen und hören. Des Herzens Ohren öffnen und lauschen. Weil der Glaube aus dem Hören kommt. Und weil ich viele Wochen lang viel zu wenig höre.

Und tatsächlich habe ich an einem Sonntag frei. Übers Wochenende bin ich in einer anderen Stadt, in einer benachbarten Landeskirche. Sonntags besuche ich den Gottesdienst in der romanischen Dorfkirche. Niemand kennt mich und ich kenne niemand. Das macht frei zum Hören. Lieder. Gebete. Ein Chor. Die Schriftlesung aus dem Lukasevangelium: Jesus sagt zu Petrus, dass er ihn verleugnen wird. Davon will Petrus nichts wissen. Widerspricht: Ich geh mit dir, wohin du willst. Auch bis ans Ende dieser Welt. Ins Gefängnis. In den Tod. Jesus ist ganz klar: Ach, Petrus! Du und deine Bekenntnisse. Keine Ewigkeit, kein halbes Leben, keine sieben Wochen, nicht einmal ein paar Tage wird es dauern, dann werden dich diese Sätze Lügen strafen. Und es kommt, wie es kommen muss. Es ist nicht der große Verrat. Es passiert eher beiläufig. Jesus? Nie gehört. Den kenne ich nicht. Es rutscht ihm einfach so heraus. Reiner Selbsterhaltungstrieb. Das würde doch jeder so machen. Und wüsste Gott selbst auf seiner Seite.
Jesus weiß es besser: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Dass dein Glaube nicht aufhöre, auch wenn Du kurz darauf schon bitterlich weinen wirst, weil Du denkst, nun ist alles vorbei. So wie am Aschermittwoch, wenn die Schwüre von Treue alle brechen entzwei. Ich bete für dich, dass dein Glaube nicht aufhöre, an den eigenen Enttäuschungen nicht stirbt. In der Verzweiflung über das eigene Versagen nicht untergeht. Mit den Lügengebäuden nicht zusammenbricht. Und Jesus betet für uns, dass unser Glaube nicht aufhöre, wenn unsere Gläubigkeit am Ende ist. Diesen letzten Gedanken schenkt mir der unbekannte Pfarrer in seiner Predigt. Ein kostbarer Gedanke. Ich werde ihn mitnehmen in diese Passionszeit. Er soll mich begleiten. Der feine, der gewaltige Unterschied zwischen Glaube und Gläubigkeit.
Und vielleicht, muss ich auf dem Heimweg vom Gottesdienst in der fremden Stadt denken, vielleicht sind dafür die kommenden sieben Wochen gut: Dass die Gläubigkeit von mir abfällt, die ich mir angefuttert habe und die sich hie und da wie eine Speckschicht um meinen Glauben gelegt hat. Ich will ihr keine Nahrung geben. Ich will auf alles verzichten, was diese Gläubigkeit füttert. Sie soll weniger werden. Sie soll abnehmen. Sie soll verschwinden. Und unter ihren Fettschichten soll der Glaube zum Vorschein kommen. Ein Glaube, der nicht aufhört, weil Jesus ihn hält.
Martina Reister-Ulrichs