Handschuhsheims Pfarrer im Dritten Reich

Bloß „Kinder ihrer Zeit“?

Der Evangelische Männerverein und der Katholische Männerkreis luden zu einem spannenden Diskussionsabend.

Von Rüdiger Runge

 

„Ich bedaure nur, dass ein Abend wie dieser nicht schon vor 50, 60 Jahren stattfinden konnte“, erklärt Heinz Markmann, Jahrgang 1926, gebürtiger Handschuhsheimer, profilierter Sozialdemokrat und evangelischer Christ.

Vollbesetzt_EndMehr als 100 Besucherinnen und Besucher, die allermeisten aus dem Ort, setzen sich am Mittwoch, dem 22. April, im Gemeindesaal von Heidelbergs ältester Kirche St. Vitus mit der Rolle der Handschuhsheimer Kirchengemeinden in der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Eingeladen haben der Evangelische Männerverein Heidelberg-Handschuhsheim und der Katholische Männerkreis St. Vitus zu diesem „Ökumenischen Abend“. Er ist Teil des Programms, mit dem der Stadtteil 2015 sein Bestehen seit 1250 Jahren feiert.

Widerständig

Der katholische Ortsgeistliche von 1917 bis 1954, Franz Rudolf, war nach 1933 kein Mann des aktiven Widerstands, doch er zeigte sich, gelegentlich listenreich, durchaus widerständig. Bereits im Oktober 1933 drohte das Heidelberger NS-Blatt „Volksgemeinschaft“ ihm öffentlich KZ-Haft in Kislau bei Karlsruhe an, wenn er sich weiterhin weigere, zu hohen Festtagen die Hakenkreuzfahne am Kirchturm zu hissen.

Tauferts_EndjpgManfred Taufertshöfer, Vorsitzender des Katholischen Männerkreises St. Vitus und ehemals stellvertretender Schulleiter des katholischen Gymnasiums St. Raphael, führt Rudolfs Wirken eindrücklich vor Augen, in dem er schlicht Dokumente und Bilder aus jenen Jahren zeigt.

1936 etwa wandte Rudolf sich an HJ und SA, die am Sonntagmorgen, zur Zeit katholischer Messen, regelmäßig Exerzierübungen veranstalteten. Er ersuchte um einen Befehl für die Katholiken in deren Gruppen und Einheiten, sonntags um 8.45 Uhr die Heilige Messe zu besuchen. 1941 nahm die Gestapo Rudolf dann für zehn Tage in Haft, weil er für Polen, die zumeist in den Handschuhsheimer Feldern arbeiteten, Messen las, an denen auch die deutschen Gemeindeglieder teilnehmen konnten.

Beklommenheit im Saal löst die Erwähnung eines Vorfalls aus, der vielen Anwesenden bekannt oder sogar selbst erinnerlich ist: Noch am Tag vor dem Eintreffen der Amerikaner erhängten 1945 SS-Leute am Ortsausgang nach Dossenheim einen 17-Jährigen wegen Fahnenflucht.

Rechtsextrem aus Überzeugung

Ganz anders als Rudolf verhielten sich zwischen 1933 und 1945 die beiden evangelischen Pfarrer der Handschuhsheimer Friedensgemeinde, Heinrich Wilhelm Vogelmann und Karl Höfer. „Welten lagen dazwischen“, sagt Hans Jörg Staehle. Er genießt seit seinem Buch „Heidelberg-Handschuhsheim – ein satirischer Blick“ einen Ruf als Stadtteils-Historiker, ist im Hauptberuf jedoch Ärztlicher Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Heidelberger Universitätsklinikum.

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Intensive Archivrecherchen Staehles haben ergeben: Aus unterschiedlichen theologischen Traditionen stammend, waren die zwei protestantischen Pfarrer schon in den Jahren vor Hitlers Machtergreifung entschiedene Verfechter rechtsextremen Gedankenguts. Vogelmann war Mitglied sowohl der NSDAP als auch der Bekennenden Kirche, während Höfer den Deutschen Christen angehörte, die sich ganz dem Nationalsozialismus verschrieben hatten. Von Vogelmann, der neben seiner Aufgabe als Gemeindepfarrer auf vielfältige Weise publizistisch tätig war, aber auch von Höfer sind zahlreiche Äußerungen dokumentiert, die sie als überzeugte Nationalsozialisten ausweisen: Wahlaufrufe für die NSDAP, glühende Huldigungen an Adolf Hitler und in den Jahren ab 1939 eine unaufhörliche Kriegspropaganda. Staehle zitiert Vogelmann zum Beispiel mit dem Satz: „Was wir brauchen, ist eine Art kirchlicher Goebbels zum Segen unserer Evangelischen Kirche.“ Und am 10. November 1938, einen Tag nach der Reichspogromnacht, lieferte Vogelmann eine biblische Begründung der Judenverfolgung.

Vorsicht vor Verurteilungen

Dennoch mahnt Staehle zur Vorsicht bei moralischen Verurteilungen: „Sie waren Kinder ihrer Zeit.“ Angesichts der Brutalität des Regimes gegen seine Gegner, so Staehle, dürfe auch den Handschuhsheimer Gemeindegliedern ihr Verhalten in den Jahren bis 1945 nicht vorschnell vorgeworfen werden. Problematisch sei jedoch die ausgebliebene Aufarbeitung in den Jahren danach. Stattdessen, sagt Staehle, wurden Belastete über Mitläufer zu mutigen und verfolgten Widerstandskämpfern stilisiert. Selbst der jeglicher Kollaboration mit den Nazis unverdächtige Heidelberger Pfarrer Hermann Maas entlastete Vogelmann nach dem Krieg.

Verstrickungen unter dem Mantel des Schweigens

Einigen im Publikum erscheint Staehles Bewertung allerdings zu einfach. Schließlich hätten Vogelmann und Höfer Schuld auf sich geladen und seien ihrer christlichen Verantwortung nicht gerecht geworden. „Eine Krähe hat nach dem Krieg der anderen kein Auge ausgehackt. Ich schäme mich für die deutsche Justiz“, meint ein Besucher, den ein anderer später mit der Bemerkung ergänzt, die evangelischen Ortspfarrer stünden nur stellvertretend für das Versagen beider Kirchen. Nicht nur die Juristen, sondern auch die Christen hätten versagt.

Bestürzung wird laut über die „Verstrickungen der Pfarrer ins verbrecherische Regime“, aber auch darüber, wie in den Jahren und Jahrzehnten danach über die Verstrickung fast aller „der Mantel des Schweigens gebreitet“ wurde. Zugleich sprechen einige, die sich zu Wort melden, Dank dafür aus, dass mit diesem Abend das Thema öffentlich zur aufarbeitenden Debatte gestellt wird.

Nationalistischer Protestantismus

markgraf_EndEckhart Marggraf ist, wie Heinz Markmann, im Atzelhof aufgewachsen, dem Handschuhsheimer Musterkomplex für gute Arbeiterwohnungen. Bis zu seiner Pensionierung als evangelischer Pfarrer leitete er das Religionspädagogische Institut der badischen Landeskirche. Marggraf erläutert historische Hintergründe für die unterschiedliche Nähe von Katholiken und Protestanten zum Nationalsozialismus. Nationalistisches Denken war im Protestantismus tief verankert, über die gegensätzlichen Strömungen der „liberalen“ und der „positiven“ Theologie seit dem 19. Jahrhundert hinweg. Denn seit der Reformation standen die evangelischen Kirchen in enger, ja obrigkeitshöriger Bindung an die Landesherren, die ihre Anerkennung und Existenz im Gegenüber zur katholischen Weltkirche sicherten.

Die Katholiken befanden sich demgegenüber stets in Distanz zu nationaler Politik; bis 1933 war es ihnen ausdrücklich verboten, der NSDAP beizutreten. Außerdem hatten sie sich mit dem „Zentrum“ als „führender katholischer Kirchenpartei“ fester in der Demokratie der Weimarer Republik verwurzelt.

Totalitarismus noch immer hochaktuell

„… und unsere Verantwortung heute?“ lautet die abschließende Frage an die jetzigen Geistlichen Handschuhsheims, den katholischen Pfarrer Josef Mohr und seinen evangelischen Kollegen Gunnar Garleff. Mohr betont, der „Trost der Vergebung“, von dem im Brief eines evangelischen Oberkirchenrats die Rede war, den Staehle zitierte, sei nicht zu gewinnen ohne das Bekennen von Schuld. Trotz des eindrucksvollen Beispiels seines Vorgängers Franz Rudolf hätten im Nationalsozialismus die „Kirchen als Ganzes“ versagt „gegenüber gottloser Ideologie“.

4vonhier_EndGunnar Garleff verweist auf Luthers simul iustus et peccator – der Mensch ist stets Gerechter und Sünder zugleich, in Garleffs Worten: „Gott liebt dich, aber er liebt nicht alles, was du tust.“ Jede Generation trage ihre eigene Verantwortung gegenüber der Geschichte, Schuld und die Verstrickung der meisten müssten als Schuld benannt werden. Ein Schlussstrich dürfe nicht gezogen werden, zumal nicht in einer Zeit, in der Totalitarismus noch immer hochaktuell sei, sagt der Pfarrer, der die prophetische Aufgabe der Kirche darin sieht, politisch wachsam zu sein. Dabei gehe es nicht darum, scheinbar alternativlose Antworten zu geben, sondern Erziehung müsse zum öffentlichen Diskurs befähigen und zu Urteilsfähigkeit verhelfen in Lebenssituationen, in denen „immer mehrere Antworten möglich“ seien.

Konfessionalismus reinsten Wassers

Heftigen Widerspruch von Pfarrer Mohr und auch von Eckhart Marggraf erntet Heinz Markmann im Übrigen für seine Feststellung, schon in der Zeit des Nationalsozialismus sei „Handschuhsheim ökumenisch gesinnt“ gewesen. Das sei eine „Legende“, erklärt Mohr. Auch damals und für eine lange Zeit habe in Handschuhsheim ein „Konfessionalismus reinsten Wassers“ geherrscht. Darauf entgegnet Markmann, so grundsätzlich habe er es gar nicht gemeint: Aber in der Hitlerjugend „saßen wir alle in unseren braunen Hemden zusammen“.

Fortsetzung angesagt

Moderator Gerhard Liedke, selbst Pfarrer der Friedensgemeinde in den 1980er und -90er Jahren, gibt zum Abschluss preis, einer seiner besten Freunde sei ein Enkel Karl Höfers gewesen, und betroffen habe er erleben müssen, dass dieser überhaupt nichts von der NS-Vergangenheit seines Großvaters wusste.

Insofern sind die beachtliche Resonanz und das konzentrierte Gespräch an diesem Abend eine Bestätigung: Evangelischer Männerverein und Katholischer Männerkreis in Handschuhsheim planen eine Fortsetzung zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit nach 1945, am 23. Oktober 2015 unter dem Titel „Aufarbeiten oder Schweigen? Nachwirkungen der NS-Zeit in den Handschuhsheimer Kirchengemeinden“.

Auch die Rhein-Neckar-Zeitung hat ausführlich über die Veranstaltung berichtet. Die Artikel der Ausgabe vom 25. April 2015 finden Sie – mit freundlicher Genehmigung der RNZ – hier:

Veröffentlicht von Lothar Bauerochse

Mitglied im Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit der Friedensgemeinde.

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