Kerwe-Predigt 2024

Meine liebe Hendsemer und Hendsemerinnen,
Zwei Gleichnisse über das Wachsen und Säen. Zwei Gleichnisse über das Reich Gottes und zwei Gleichnisse, in denen die Frage nach der Kirche und die Frage nach der Gelassenheit verborgen liegen. Zwei Gleichnisse für das Jubiläum 1250 Jahre Christen in Handschuhsheim und damit 1250 Jahre St. Vitus-Kirche.

Von Pfarrer Dr. Gunnar Garleff

Markus-Evangelium, Kap.4, 26-34
26 Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. 28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
30 Und er sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? 31 Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; 32 und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.
33 Und durch viele solche Gleichnisse sagte er ihnen das Wort so, wie sie es hören konnten. 34 Und ohne Gleichnisse redete er nicht zu ihnen; aber wenn sie allein waren, legte er seinen Jüngern alles aus.

Gewiss, wenn die Kirche ein Jubiläum feiert, dann ist das an sich schon eine eigenartige Angelegenheit. Nicht das Feiern ist das Problem. Feiern gehört zur DNA des Christentums. Aber Jubiläen zeigen ja immer zuerst auf: Das Ziel der Kirche ist noch nicht gekommen, das Reich Gottes ist noch nicht gekommen, wir leben immer noch in der Zeit der Kirche. Alles noch Glauben und nicht Schauen. Alles ist noch vorläufig. So ein Jubiläum ist gleicht eigentlich dem ungeduldigen Blick auf die Uhr, wenn die Bahn mal wieder zwei Stunden Verspätung hat. Oder, um es im Bild der Gleichnisse zu sagen: Wann sind die Äpfel endlich reif?

Hat die Kirche heute wirklich noch den Menschen im Blick? Fragt sie nach dem Menschen und seinen Bedürfnissen oder ist sie mehr mit sich selbst beschäftigt, mit dem Kehricht ihrer Geschichte und dem Versuch, ihre Traditionen noch irgendwie trotzig gegen Zeitgeist zu verteidigen?

Doch das ist das eine. Das andere ist die Situation der Kirche selbst. Die ja in diesen Zeiten immer wieder in Not ist. Die Kirche droht an ihren eigenen Idealen zu scheitern. Die Kirchen schrumpfen, und offensichtlich ist, dass ihre Art der Rede und der Verkündigung heute immer weniger zu überzeugen vermag. Nicht selten wirkt die Kirche doch heute lebensfern und weltfremd, und die großen Skandale, allen voran der Missbrauch von Menschen, sind nicht zu verschweigen. Hinter den alten Mauern der Kirchen bröckeln die Scheinbilder der Vollkommenheit. Die Kirche heute wankt und ist in ihren Grundfesten immer wieder erschüttert. Hat die Kirche heute wirklich noch den Menschen im Blick, fragt sie nach dem Menschen und seinen Bedürfnissen oder ist sie mehr mit sich selbst beschäftigt, mit dem Kehricht ihrer Geschichte und dem Versuch, ihre Traditionen noch irgendwie trotzig gegen Zeitgeist zu verteidigen? Oder anders: Ist die Kirche eigentlich noch zu retten? Hat sie noch eine Chance auf Reifung und Wachstum?

***

Fragen wir sie doch einmal selbst, die St. Vitus-Kirche. Diese alte Dame an der Straßenecke. Wie ergeht es ihr tagein tagaus?

„Ich stehe an der Straßenecke. Meine Türen sind offen. Ich sehe die Menschen vorbeiziehen. Die einen eilen vorbei auf dem Weg zur Arbeit, in ihrem Kopf rattern die Probleme schon vor sich hin. Andere sind völlig entspannt in Vorfreude auf den Feierabend. Der Schultag geschafft – eine gesprächige und doch müde Schülergruppe radelt vorbei. Ob sie mich überhaupt – hinter den Bäumen versteckt – wahrnehmen, so gedankenverloren,.

Manchmal schnappe ich ein paar Gesprächsfetzen auf. Mal ein heiterer Witz, mal ein Hauch von Traurigkeit. Mal eine Stresstirade, ein quengelndes Kind, mal die Diskussionen über ernste Themen. Hitzköpfe. An der Straßenecke ein Diskurs über Vorfahrt und Rücksichtnahme.

Ich bin geduldig. So viel Wandel habe ich in meinem Leben erlebt. Geschichte und Geschichten. Freud und Leid. Kaiser, Könige, Fürsten, Ritter, Diktatoren und Präsidenten hab ich überdauert. Ja auch Priester und evangelische Pfaffen kamen und gingen. Gewiss, wer mich sieht, der sieht auch meine Wunden und den Wandel der Jahre. Sie haben an mir rumgebaut, Mauern aufgebaut und niedergerissen. Mal gab es etwas neue Farbe, mal haben sie mich mit Bildern verschönert.

Ich bin immer noch da. Offen für Neues, neugierig auf Menschen und Geschichten, und zugleich eine Zeugin für Nähe und Liebe. Meine Türen sind offen und von Zeit zu Zeit treten Menschen näher, durchbrechen die Distanz und kehren ein – mal still und leise, gedankenversunken, dann singend und lobend, mal forschend und staunend. Ich biete ihnen einen Ort ohne Zeit, für Ruhe, einen kühlen Ort der Besinnung.

Und ja, gelegentlich spüre ich dann, wie ein Geist durch meine Hallen weht, wie da ein schöner Lobgesang erklingt und Menschen Trost finden, Zuversicht, Hoffnung, Freude. Wie sie ganz erquickt dann ihre Wege weitergehen. Dann ist es, als hätte einer ihnen einen Samen ins Herz gelegt, der wachsen kann und blüht. Ein Anfang für etwas Größeres, eine keimende Hoffnung – dass ein großer Baum daraus werde, der Zuflucht schenken und die Geschöpfe im Frieden miteinander vereint.

Ich bin ja nur eine alte Kirche. Mich kann so leicht nichts schrecken, ich stehe einfach da durch all die Jahrhunderte. Und doch will ich kein Museum sein, sondern ein Feierort, ein Wandelort, ein Ort zum Aufbruch zum Säen und Keimen. Ja und ganz eigentlich bin ich doch eher eine Art Gewächshaus, ein Übergangsort, denn das wesentliche kommt doch noch.“

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26 Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.

Die zwei Gleichnisse Jesu: Der Sämann und das Senfkorn. Der Sämann, der den Samen auf das Land wirft und sich dann schlafen legt. Und als er aufwacht, hat der Same gekeimt. Der Sämann steht für die Gelassenheit.

Gewiss, wir mühen und bemühen uns ständig, die Kirche zu gestalten. Überlegen uns dieses und jenes. Versuchen immer fort als Menschen die Prozesse und Entwicklungen unter Kontrolle zu bringen. Üben uns in Selbstkritik oder entlasten uns durch Kritik an den Verhältnissen oder an denen da oben – seien es Päpste, Bischöfe, Synoden, Oberkirchenräte. Wir wollen die Kontrolle und spüren doch die Ohnmacht.

Manchmal streut einer einen Samen, hat eine Idee, eine Vision, tut sie kund, nicht immer schon bis über das Ende hinaus durchdacht. Und dann beginnt der kollektive Zweifel, dann werden die Probleme benannt: Geht das mit den Alten? Verkommen dann nicht die Traditionen, die schönen Bräuche? Das haben wir doch schon immer nicht so gemacht? Ist das nicht alles doch Zeitgeist? Was ist mit der Ordnung? Nein, man braucht doch erst mal die Zustimmung aus Rom, oder ein protestantisches Gesetz, mindestens aber einen prozessorientierten Workshop.

Der Sämann aber streut den Samen. Er tut das nicht irgendwie unüberlegt. Es ist auch nicht davon die Rede, dass er den Acker zuvor vernachlässigt. Aber dann, wenn er das Notwendige bedacht hat, dann wirft er den Samen auf das Land und übt sich in Schlaf und Gelassenheit. Seine entscheidende Einsicht: Nicht alles ist an ihm gelegen. Das Wachstum ist nicht in seiner Macht. Es wächst weil ein anderer es wachsen lassen will.

Die Kirche streut den Samen, aber sie hat das Wachsen nicht unter Kontrolle. Ja, ich möchte sagen, vielleicht ist es gerade der jahrhundertelange Kontrollwahn kirchlicher Traditionalisten und Amtsträger und die Hybris, als ließe sich Gottes Wort und Geist durch rechte Lehre und Dogmen beherrschen und begrenzen. Die Kirche aber mag der Gemüsegarten sein, in dem der Samen wächst, aber sie kann das Wachsen nicht kontrollieren, wohl aber ihm den Nährboden entziehen. Vielleicht ist es jetzt viel mehr an der Zeit einmal demütig und doch voller Vertrauen Gottes Geist den Raum zu überlassen und sich selbst zurückzunehmen.

Gewiss aber ist, die Zeit der Kirche heute ist eine Zeit der Bescheidenheit. So steht sie doch da unsere Handschusheimer St. Vitus-Kirche an der Straßenecke. Die Menschen fahren vorbei, manche kehren auch ein. Ja, mag sein, dass die Kirche früher einmal der Mittelpunkt des Stadtteillebens gewesen war. Ihre Türen sind offen und zugleich sie drängt sich nicht auf.

Und das ist ein Aspekt des zweiten Gleichnisses.

Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? 31 Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; 32 und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.

Es beginnt ganz klein im Gemüsegarten – klein wie ein gerade 1mm großes Senfkorn – so ist das mit dem Reich Gottes. Nicht um die Kirche geht es, nicht um den einen großen Wurf, nein um das Reich Gottes, den Hoffnungsanker. Das Reiche Gottes ist das Friedensreich, in dem sich Friede und Gerechtigkeit küssen, in dem die alten Feinde sich lieben, in den Arm und Reich teilen, in dem die Vielfalt nicht nur ausgehalten und toleriert wird, sondern normal ist, weil die Unterschiede zwar da sind, aber nicht mehr über alles gestellt werden, das Reich Gottes wächst aus dem kleinen Samen hervor.

Nicht die Kirche gilt es zu feiern, sondern die kleinen Samenkörner der Zuwendung und Hoffnung Gottes für die Welt.

1250 Jahre Christen in Handschuhsheim, das ist ein schönes Motto, weil es offen dafür ist, dass nicht der Ruhm und die Ehre im Vordergrund stehen, sondern die kleinen Samen, die Christinnen in der Stadt, im Stadtteil immer wieder streuen. Nicht die Kirche gilt es zu feiern, sondern die kleinen Samenkörner der Zuwendung und Hoffnung Gottes für die Welt. Und da fallen mir einige ein: zuvorderst die Caritas und die Diakonie, Kümmerinnen für die Menschen, sie streuen den Samen der Liebe, wo sie Klientinnen und Klienten nicht nur als Pflegeobjekte wahrnehmen, sondern als Menschen mit Bedürfnissen, mit Würde, mit Träumen, mit Zweifel und Hoffnung. Mir fällt die Nachbarschaftshilfe und Handschuhsheim hilft ein und das solidarische Engagement so vieler Ehrenamtlicher in unseren Gemeinde, in den Vereinen, in der Politik. Das Reich Gottes wächst auf, wo Menschen sich wahrnehmen als Nachbarn und Mitmenschen. Mir fallen die großen Feste ein, natürlich unsere ausgelassene Kerwe, wenn alt und jungen tanzen, singen und trinken – friedlich miteinander und damit ihrer Heimat bewusst werden. Und natürlich gehört dazu auch das in unseren Kirchen gebetet wird und Gottesdienst gefeiert wird, dass wir miteinander das Abendmahl und die Eucharistie feiern. Es ist gut, dass wir Orte und Zeiten haben, die daran erinnern, nicht alles liegt in des Menschen Hand und nicht alles ist an seinem Denken und Verstehen gelegen.

Das Reich Gottes – diese große Hoffnungsvision Jesu – wächst aus den kleinen Senfkörnern der Liebe und der Mitmenschlichkeit hervor. Darum liebe Christinnen und Christen, liebe Hendsemer und Hendsemerinnen, streuen wir unseren Namen. Denken wir nicht zuerst nur uns selbst, nicht zuerst an die alte Dame Kirche, nicht zuerst an den eigenen Vorteil und die eigenen Wünsche, sondern streuen wir weiter unseren Samen – mit achtsamer Sprache, mit aufmerksamen Augen und Ohren, mit der Liebe zum Nächsten und zu dem uns noch fremden. Streuen wir den Samen auf die Felder und die Gemüsegärten in unserer Stadt, dass er werde zum Baume, in dem die vielen miteinander Herberge und Schatten finden im Frieden in unserem schönen Handschuhsheim, in unserem Heidelberg.

Veröffentlicht von Lothar Bauerochse

Mitglied im Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit der Friedensgemeinde.

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